Quelle: LZ-Online
Von Thomas Reineke

30.08.2003: 44-Jährige behauptet, 1973 eine Schülerin getötet zu haben.
Horn-Bad Meinberg/Hamburg. Britta X. (Name geändert) hat ihren Dämon besiegt, hat ihr Gewissen nach Jahrzehnten erleichtert. Über ihren Anwalt zeigte sich die 44-Jährige selbst bei der Hamburger Staatsanwaltschaft an. Britta X. will im Frühsommer 1973 als 14-Jährige eine englische Austauschschülerin umgebracht haben. Der Tatort: ein Haus nahe den Externsteinen in Horn-Bad Meinberg. Der Hintergrund: Satanismus.

Seit anderthalb Jahren gehen die Strafbehörden in OWL den Hinweisen von satanistischen Verbrechen vor allem in den Räumen Gütersloh und Paderborn nach. Im vorliegenden Fall beschuldigt Britta X. ihre Eltern. Sie und weitere Mitglieder einer satanischen Gruppe hätten sie zu dem Ritualmord gezwungen. Die Leiche sei weggeschafft worden, sagte Britta X. aus. „Wohin? Das weiß meine Mandantin nicht“, so ihr Hamburger Anwalt Rudolf von Bracken. Während ihr Vater vor einigen Wochen verstorben ist, lebt die Mutter von Britta X. heute im Großraum Göttingen – ohne jeglichen Kontakt zu ihrer Tochter, die sie so schwer beschuldigt, und ohne bisher von der Kripo behelligt worden zu sein. Denn: „Wir haben zwar ein umfangreiches Vorermittlungsverfahren eingeleitet und eine Vernehmungsakte von über 50 Seiten, aber bis heute kein Opfer“, sagt Rüdiger Bagger (59), Oberstaatsanwalt in Hamburg.

Oder anders formuliert: So lange keine Leiche oder zumindest Vermisste auftaucht, hat die Staatsanwaltschaft starke Zweifel an der Aussage von Britta X. „Bisher haben wir keine Anhaltspunkte, dass wirklich Menschen gestorben sind.“ Und in einem solchen Stadium konfrontiere die Staatsanwaltschaft niemanden mit einem derartigen Vorwurf, so Bagger. Seit Monaten laufe ein Rechtshilfeersuchen über Interpol in Großbritannien. Gesucht wird eine Schülerin, die 1973 in Deutschland war und seitdem als vermisst gilt – bisher ohne Erfolg.

Eine auch für erfahrene Anwälte beklemmende Situation.
Aber Britta X. ist sich ihrer Sache sicher. Detailliert hat sie ihre 30 Jahre alten Erinnerungen in einer Vernehmung ausgebreitet. „Eine auch für erfahrene Anwälte beklemmende Situation“, erinnert sich von Bracken. 1973 lebte das Ehepaar X. mit ihrer Tochter und ihren beiden Söhnen (der Ältere beging 1999 Selbstmord) in einem Bielefelder Ortsteil. Britta X. wie auch die gleichaltrige Austauschschülerin gingen auf ein nahes Gymnasium. Der Gast aus England wohnte während des Besuchs nach der Erinnerung der Tochter in einem Wohnwagen auf dem Hausgrundstück. Was die Staatsanwaltschaft zusätzlich an der Aussage von X. zweifeln lässt, ist der zweite Ritualmord, den sie 1975 in Hildesheim – die Familie war inzwischen umgezogen – auf Weisung der satanischen Gruppe begangen haben will. Das angebliche Opfer, ein Küster, starb nach Recherchen der Hamburger Ermittler nicht in diesem Jahr. Die Sterbe-Urkunde datiere auf den 25. Juli 1981 – ausgestellt von den Krankenanstalten Bielefeld-Bethel.

Für Anwalt von Bracken nicht unbedingt ein unumstößlicher Fakt: „Wenn solche Gruppen tatsächlich gewirkt haben, werden sie alles Erdenkliche tun, die Spuren ihres Handelns zu verwischen.“ Wie vielleicht auch bei dem ersten Opfer: Normalerweise werden alle Namen und Termine von Austauschschülern von den jeweiligen Schulen archiviert. Die Akte aus dem betreffenden Gymnasium steht heute im Stadtarchiv Bielefeld. Nur: „Für den fraglichen Zeitraum in 1973 fehlen die entsprechenden Seiten. Sie sind nicht mehr da“, so von Bracken, der selbst recherchierte.

Wie der Fall auch ausgeht: Seine Mandantin habe zumindest ihr Gewissen erleichtert, die schrecklichen Bilder in ihrem Kopf bekämpft. „Sie ist psychisch stabil und wird kompetent betreut“, so von Bracken. Ob die ledige und kinderlose Britta X. noch juristisch zur Verantwortung gezogen wird (ab 14 Jahren gilt das Jugendstrafrecht), hängt vom Ausgang des Ermittlungsverfahrens ab. Warum dieses nicht nach Detmold verlegt wurde, erklärt Oberstaatsanwalt Bagger mit dem heutigen Wohnort von Britta X. Und: „Wir überlegen, ob wir die Akte nicht bald den Kollegen in Ostwestfalen zur Verfügung stellen. Dort werden Vorgänge rund um die Externsteine gesammelt.“ Für die Staatsanwaltschaft Hamburg hieße das: Der Fall ist für sie erledigt.

Laut Staatsanwaltschaft Paderborn wurden bislang in der Region keine greifbaren Anhaltspunkte für rituelle Verbrechen gefunden. Die Ermittlungen gehen jedoch weiter.