Nickis persönlicher Kommentar zur aktuellen Berichterstattung über satanischen rituellen Missbrauch (März 2023). Wir haben diesen Text auch an den Spiegel geschickt.

Wir. Haben. Es. So. Satt!

Foto: Bart van Stratum cc by nc 2.0

Da steht es mal wieder in irgendeiner Zeitung. Satanischer Ritueller Missbrauch soll eine Verschwörungstheorie sein, die böse Therapeut*innen ihren Klient*innen einreden. Seit vielen Jahren geht das so. Immer wieder gibt es solche Berichte, egal wie viele Täternetzwerke aufgedeckt werden, wie vielen Sekten und religiösen Gruppen sexualisierte Gewalt nachgewiesen wird, wie viele extrem gewalttätige Videos mit Kindern auch auftauchen. Täglich stehen Verbrechen dieser Art in der Zeitung, aber dann gibt es wieder diese Berichte, wir würden uns das ausdenken oder eingeredet bekommen. Wo sollen denn all diese Kinder aus den Videos sein, wenn wir alle spinnen, sobald wir erwachsen sind?

Und in diesen Artikeln oder Videos der Leugnerinnen und Leugner werden auch immer wieder wir, die Nickis, genannt, gezeigt, oder es wird auf Filme, in denen wir mitgewirkt haben, verwiesen. Da wird einfach behauptet, wir würden lügen. Ohne, dass irgendwer mit uns gesprochen hätte. Wir haben es echt satt! Wir finden das unverschämt und auch sehr verletzend, denn diese Menschen kennen uns doch überhaupt nicht!

Nun werden wir zwar nicht mit Namen genannt im Spiegel, aber unsere ze.tt-Filme werden erwähnt. Und wir werden als „vermeintlich Betroffene“ bezeichnet. Was für eine Unverschämtheit! Der Spiegel hat sich nicht dafür interessiert, mal zu fragen, wie wir diese ganze Situation sehen und woher wir unsere Vergangenheit haben.

Wir waren 20 Jahre in Therapie. Uns ist niemals irgendetwas eingeredet worden – das ging gar nicht, weil von satanistischer Gewalt 1987 in Deutschland noch niemand etwas wusste. Im Gegenteil, unsere Therapeutin wollte unsere Therapie beenden. Und dann haben Innenpersonen von uns sie gebeten, weiter zu arbeiten, und ihr nach und nach von unserer Vergangenheit erzählt. Wir waren in einem satanistischen Kult – und wir haben niemals behauptet, dass das eine weltumspannende Eliten-Verschwörung gewesen sein soll. Wahrscheinlich war es eher eine kleine, lokale Gruppe – aber es hat sie gegeben. Schon weit vorher in unserer Kindheit hatten wir darüber in unseren Tagebüchern geschrieben. Unsere Tagebücher haben wir immer vor unserer Familie versteckt, so dass keiner sie finden konnte.

In unserem Prozess gegen unseren Stiefvater 1975 haben wir davon auch berichtet. Er wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, aber in der Urteilsbegründung sind diese Aussage von uns einfach nicht mehr erwähnt worden. So verschwinden solche Berichte vor Gericht, und später heißt es von der Justiz und der Polizei „Nein, wir haben keine Erkenntnisse und nichts in unseren Statistiken.“ Das ist bis heute so, wissen wir von anderen Betroffenen. Und andere Urteile gegen Sektenleute, die Kinder misshandeln, werden als Einzelfälle abgewertet.

Bevor man uns oder andere Betroffene verurteilt, sollte man erst einmal persönlich mit uns reden. Aber das haben ja manche Journalisten offenbar nicht nötig. Das ist doch keine vernünftige Berichterstattung!

Mehrfach und lange haben wir uns das angesehen und uns immer wieder entschieden, uns nicht zu Wort zu melden, weil es nichts bringt. Aber inzwischen sind wir so wütend, sauer und auch enttäuscht, dass hier Sachen über uns gesagt werden, die nicht der Wahrheit entsprechen. Es stimmt, wir können einige Dinge in unserer Vergangenheit nicht stichhaltig beweisen – aber können die Menschen, die sagen, ihre Therapeut*innen hätten sie manipuliert, das beweisen? Sowohl sexualisierte Gewalt als auch Therapiestunden sind Situationen, in denen im Nachhinein Aussage gegen Aussage steht. Warum glaubt man denen, und nicht uns?

Können die Kritiker*innen die Verletzungen, die gesundheitlichen Schäden, die wir haben, die Tagebücher usw. erklären? Nein, sie können nur anzweifeln. Das ist einfach – und nur zerstörerisch. Wer darunter leidet, sind die Betroffenen.

In unserer Traumatherapie ging es nur darum, dass wir die Erinnerungen verarbeitet haben, die hochkamen, und nicht darum, dass uns irgendetwas eingeredet wurde. Und ja, uns ging es schlecht nach diesen Terminen für die Aufarbeitung, aber ehrlich, ist das nicht normal, wenn man sich an grausame Dinge erinnert, die das Gehirn eine ganz Zeit lang weggedrückt und auf andere Personen aufgeteilt hat? Wir sind dankbar, so eine Therapeutin gehabt zu haben, die mit uns auf unseren schweren Weg gegangen ist. Sie hatte 1987 überhaupt keine Ahnung von Ritueller Gewalt, es gab keine Bücher, keine Therapie-Richtlinien und keine Netzwerke von Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigt haben. Und dann wird einfach behauptet, dass Therapeuten Betroffenen das einreden. Warum sollten sie das tun? Traumatherapeut*innen können sich doch sowieso nicht vor Anfragen retten, die brauchen Betroffene von Ritueller Gewalt nun wirklich nicht auch noch selbst zu „produzieren“.

Wir leben heute sehr gut, ohne Flashbacks, Trigger, Alpträume usw. Aber unser Körper ist von dieser Gewalt gezeichnet und das wird bis zum Lebensende so sein. Meinen Sie, dass wir uns das ausdenken? Warum sollten wir das tun? Geben Sie uns einen einzigen Grund, warum wir uns das ausdenken sollten. Unser Leben lang sind wir beeinträchtigt und leiden unter starken Schmerzen. Weil wir uns wichtigmachen wollen? Glauben Sie etwa, wir stehen gerne vor einer Kamera und setzen uns dem öffentlichen Blick aus? Glauben Sie etwa, es wäre leicht gewesen, uns in unserer Nachbarschaft, an unserem Arbeitsplatz und bundesweit öffentlich zu outen mit unserer Vergangenheit, mit allen schambesetzten Erinnerungen und all dem?

Wir haben es getan und sprechen auch heute noch mit Journalist*innen, weil es uns ein Anliegen ist, anderen Betroffenen den Weg leichter zu machen, sonst gar nichts. Deshalb arbeiten wir auch in unserem Verein Lichtstrahlen Oldenburg e.V. an der Vernetzung und Unterstützung von anderen Betroffenen, statt uns auf dem Sofa einfach nur auszuruhen.

Bevor Menschen über uns reden, sollten sie uns persönlich fragen, wie was gewesen ist. Sonst tun sie nichts anderes als die Täter*innen, die über uns verfügt haben. Wir haben es wirklich satt! Warum müssen wir uns das immer wieder gefallen lassen?

 

Nickis